Im Sog der Angst

Dokumentarfilm, Schweiz 2018, 51 Minuten

Herzrasen, Atemnot, Schwindel – wer eine Panikattacke erleidet, wird von bodenlosem Entsetzen überrollt. Im Bestreben, weitere Attacken zu vermeiden, beginnen Betroffene sich im Alltag einzuschränken. Drei von ihnen erzählen, wie sie mit der Angststörung umgehen.

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Inhalt

Über zweihundert Panikattacken hat Marcel M. in den letzten dreissig Jahren erlitten. Er kennt ihren Ablauf und weiss, wie er ihnen begegnen sollte. Aber all sein Wissen nützt ihm nichts, wenn sich die «Angstschraube» zu drehen beginnt. Wenn die Panik über ihn hereinbricht, meint er zu sterben.

Die Angststörung ist die zweithäufigste psychische Erkrankung in der Schweiz. Dennoch wird sie selten thematisiert. Im neuen Dokumentarfilm von Dieter Gränicher erzählen drei Betroffene von ihren Erfahrungen. Gemeinsam geben sie Einblick in ihr Leben mit der Angst. Conny G., die mit ihrem Partner ein Restaurant führt, erinnert sich an den Moment, als sie zum ersten Mal in der Gaststube, mitten im hektischen Mittagsservice, eine Attacke erlitt. Und Claudia M. zeigt uns, wo genau die Grenzen verlaufen, die ihre Mobilität einschränken: Knapp hundert Meter von der Haustür entfernt lauert die Panik und zwingt sie zur Umkehr.

Alle drei haben einen Umgang gefunden mit ihrem Leiden. Marcel M. und Conny G. lernten in Therapien, der Panik nicht auszuweichen, sondern sich auf die Konfrontation mit ihr einzulassen. Damit eroberten sie sich ein grosses Stück Freiheit zurück. Und Claudia M. führt im Rahmen, den die Krankheit ihr setzt, ein von engen, vertrauten Beziehungen erfülltes Leben. Ein Film über drei mutige Menschen.

Gedanken des Autors

Angst erlebt jeder. Vorsicht und Angst bei Gefahren schützen uns. Doch nicht immer ist die Angst rational begründet. Bei nicht wenigen Menschen geraten die Ängste ausser Kontrolle, setzen sich ab von einer realen Bedrohung und übersteigern sich ins Krankhafte. Diese Menschen erleben ihre Ängste alles andere als hilfreich oder lebensnotwendig.  Sie werden zu einer Angststörung.

Ich selber zähle mich zu den eher ängstlichen Menschen, doch glücklicherweise kann ich mit diesen Gefühlen umgehen. Ich kann aber nachvollziehen, wieso jemand Schwierigkeiten hat, auf einen menschenüberfüllten Platz zu gehen. Oder Angst hat im grösseren Rahmen zu sprechen. Wieso Ängste bei vielen Menschen ausser Kontrolle geraten können, verstehe ich. Aber ich wusste lange nicht, dass diese Krankheit bei Panikattacken körperliche Symptome produzieren kann, ähnlich wie bei einem Herzinfarkt.

Häufig geht diese Form der psychischen Krankheit etwas „vergessen“. Obwohl sie nach der Depression die zweithäufigste psychische Erkrankung darstellt, ist eher die Rede von Schizophrenie, Burnout und Persönlichkeitsstörungen wie Borderline. Angststörungen sind tabuisiert; nur selten stehen Betroffene in ihrem sozialen Umfeld dazu, dass sie darunter leiden. Es hat sich gezeigt, dass Aufklärungsarbeit im Bereich der psychischen Störungen wesentlich zur Linderung des Leidens beitragen kann, da die Betroffenen sich so besser akzeptiert und verstanden fühlen. Deshalb möchte ich diese Erkrankung mit meinem Film thematisieren und ins Gespräch bringen.

Häufig verstreicht viel Zeit, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Panikattacken erleben die Betroffenen sehr körperlich, sie haben das Gefühl, sterben zu müssen. Erst genaue Abklärungen können zeigen, dass die Ursache psychisch ist. Übersteigerte Ängste und Panikattacken können dazu führen, dass sich die Betroffenen aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen und sich isolieren. Das kann so weit gehen, dass sie kaum mehr ihre eigenen vier Wände verlassen. Ihre Lebensqualität wird stark beeinträchtigt und die Ängste werden zu einem alles überdeckenden Gefühl. Schwierigkeiten am Arbeitsplatz können entstehen. Schwere Fälle von Angststörungen führen oft dazu, dass die Betroffenen ihre Stelle verlieren und Mühe haben, wieder eine Anstellung zu finden. So gibt es eine beachtliche Zahl von Betroffenen, die auf die Unterstützung der IV angewiesen sind.

Die Dunkelziffer von nicht diagnostizierten Angststörungen ist gross. Experten sprechen von bis zu fünfzig Prozent aller Fälle. Nicht therapiert können sich Angststörungen chronifizieren und zu einer schwerwiegenden psychischen Krankheit entwickeln. Frühzeitig erkannt und behandelt, besteht aber eine gute Chance zur Heilung. Als erfolgreich erweist sich dabei die kognitive Verhaltenstherapie. Expositionstherapien stellen die Betroffenen unter Begleitung in Situationen, die für sie angsteinflössend sind. Zusammen mit dem Therapeuten lernen sie, diese Situationen auszuhalten und zu merken, dass eigentlich gar keine Gefahr besteht. So lernt das Hirn, adäquat auf solche Situationen zu reagieren. Doch leider sprechen nicht alle Betroffenen auf diese Form der Therapie an. Als Medikamente kommen Beruhigungsmittel zum Einsatz, unter anderem Benzodiazepine, die hochgradig süchtig machen und deshalb sehr zurückhaltend eingesetzt werden müssen. Aus diesem Grund werden heute vermehrt erfolgreich Antidepressiva ohne Abhängigkeitsrisiko  eingesetzt. Trotzdem gibt es eine grössere Zahl von Betroffenen, die lebenslang mit der Angst-Problematik konfrontiert sind.

Wie fast alle anderen psychischen Krankheiten ist auch die Angststörung ursächlich nur schwer zu ergründen. Es gibt zwar Risikofaktoren, wie zum Beispiel die familiäre Prägung sowie Auslöser, die im Leben der Betroffenen begründet liegen (schwerwiegendes Ereignis oder Trauma), doch von wirklichen, wissenschaftlich erhärteten Ursachen kann man nicht sprechen. Bei der Recherche zeigte sich mir auch, dass die befragten Betroffenen sich relativ wenig mit den Ursachen ihrer Erkrankung beschäftigen. Sie setzen sich eher mit den Erscheinungsformen auseinander. Die Angststörung bleibt deshalb eine rätselhafte Erkrankung.

Mitarbeiter

Buch, Regie, Montage und Produktion
Dieter Gränicher
Kamera
Peter Indergand scs
Ton
Reto Stamm,
Balthasar Jucker, Marco Teufen
Sprecher
Yves Raeber
Mitarbeit Montage
Bettina Schmid
Musik, Tonschnitt und Mischung
Florian Eidenbenz
Lichtbestimmung
Adriel Pfister
Grafik
Thomas Gränicher
Tonstudio
Magnetix AG
Postproduktionsstudio
Andromeda Film AG

Produktionsangaben

Originalversion
DCP und HDCAM SR / Farbe / 16:9 / Stereo / 51 Minuten
Weitere Formate
XDCAM und DVD
Sprache
Schweizerdeutsch, Deutsch
Untertitel
Deutsch und Französisch
Unterstützungsbeiträge
Bundesamt für Kultur
Teleproduktions-Fonds GmbH
Pro Mente Sana
Pro Infirmis Zürich
Ref. Kirchen Bern - Jura - Solothurn
Produktion und Weltrechte
momenta film GmbH, Schweiz 2018
In Koproduktion mit
Schweizer Radio und Fernsehen SRF und 3sat,
Belinda Sallin, Nicole Pallecchi,
Urs Augstburger